Mit über 30 Dienstjahren die Dienstältesten Feuerlauftrainer Europas

Sich die Fussohlen nicht anbrennen lassen

Geschrieben von Bote vom Untersee und Rhein

19 Menschen laufen auf der Klosterinsel Werd durch das Feuer

Dieser Tage haben 19 Erwachsene auf der Klosterinsel Werd bei Eschenz einen Feuerlauf absolviert. Dank hervorragender meditativer Vorbereitung hat sich niemand die Fusssohlen verbrannt. Zwei Raben flattern aufgeregt über dem Hausdach des schlossartigen Gebäudes mit Treppengiebeln, eine schwarze Katze streicht um eine Hausecke, ein starker West schüttelt die Äste der Pappeln und die Abendsonne lässt ihre Strahlen auf der gekräuselten Wasserfläche blitzen. ln dieser einzigartigen Szenerie werden bald 19 Menschen eine Schicksalsgemeinschaf bilden, denn sie haben sich - mit Vorbehalten - entschlossen, auf der Klosterinsel Werd bei Stein am Rhein an einem Feuerlauf teilzunehmen - das heisst, mit nackten Füssen über einen Glutteppich zu schreiten, ohne die Sohlen zu verbrennen. Niemand wird gezwungen, über die eine Temperatur von rund 700 Grad aufweisenden Kohlenstücke zu gehen; jeder fällt die Entscheidung selbst, ob er seine persönlichen Grenzen sprengen will oder nicht. Organisiert wird der Anlass vom Guardian des Franziskaner-Klösterchens Werd, Benno-Maria, und vom Feuerlauf-Spezialisten Otto Gerber aus Wädenswil.

Insel Werd als Kultplatz

Die ersten Teilnehmenden - alles Erwachsene - trudeln im Laufe des Nachmittags ein hauptsächlich aus den Kantonen Zürich und Thurgau, aus St. Gallen, Schwyz, Thun, Schaffhausen sowie aus dem süddeutschen Raum; Unkompliziert werden erste Kontakte geknüpft; von Angstgefühlen auf das bevorstehende Ereignis ist so gutwie nichts zu spüren. Bald sitzen die Leute, in einem eher düsteren Raum mit brennender Kerze und Kruzifix im Kreis am Boden und lassen sich erklären, weshalb es. eine relativ lange, meditative Vorbereitungszeit braucht, um schadlos über das Feuer zu gehen. Bruder Benno sagt, dass die Insel Werd nachweisbar schon seit über 8000 Jahren ein Kultplatz gewesen sei. Rund 400 Jahre lang waren die Römer kurz nach Christi Geburt präsent; sie errichteten auf der Insel den nördlichen Brückenkopf für den Übergang aus Holz zum anderen Rheinufer. 759* wurde der erste Abt des Klosters St. Gallen auf die Insel-Werd verbannt, womit dort das christliche Leben seinen Anfang nahm. Das seit 4000 Jahren praktizierte Feuerlaufen ist in allen Kulturen präsent, ergänzt Treuhänder Otto Gerber; nur die begleitenden Rituale seien verschieden. Bei den Hindu beispielsweise dauern sie drei Tage. Das Feuerlaufen hat in den meisten Ländern traditionell religiösen Charakter, betont er. In Europa ist es erst seit; etwas über 25 Jahren bekannt.

Der Feuerlauf ist nicht erlernbar

Nach der lockeren Vorstellungsrunde - unter den Teinehmenden befinden sich deutlich mehr Frauen - erklährt Gerber den Ablauf des Abends und weist daranf hin, dass erlernbar sei. Dass man sich beim Marsch über den Glutteppich die Füsse nicht verbrennt, ist wissenschaftlich nicht genau erhärtet, doch gibt es einige physikalische Erklärungen. Es habe wohl schon Unfälle gegeben, doch bei ihm mit insgesamt über 3000 Teilnehmern schon seit zehn Jahren nicht mehr. Die Gruppendynamik hilft den Teilnehmenden, besser auf die innere Stimme zu hören. Der Feuerlauf ist eine Transformation der Angst. Bald wird schweigend die letzte karge Mahlzeit eingenommen, wobei jeder Bissen mindestens 20 Mal gekaut werden soll. Die Vesper in der Klosterkapellemit Gesang und Gebet - zusammen mit den anderen Mönchen - leitet über zur weiteren Besinnung, oft mit geschlossenen Augen. Jetzt geht es zum Brandplatz. Schweigend wird mit Tannen- und etwas Hartholz ein ansehnlieher Stoss aufgeschichtet. Bald prasselt und lodert das Feuer, angefacht durch den starken Westwind. Die Frauen und Männer stellen sich im Kreis um das rasende Element, und sie spüren, was für eine geballte Kraft es hat.

Gedanken kommen und gehen

Fast eine halbe Stunde bewegen sich alle alsdann mit genau vorgegebenen Tanzschritten und Armbewegungen zu einer sonoren, sich ständig wiederholenden Melodie. Gedanken kommen und gehen. Die Bewegungen wirken beruhigend und lassen schweifenden Gedanken keinen Raum; man taucht in die Wandlung ein. Wieder besammelt sich die Schar vor dem flammenden, Glutenhaufen. Jeder hilft mit, diesen bei grosser Hitze auseinander zu rechen und zu einem Teppich zu formen. Ein letztes Ritual folgt, indem jede Person über den Köpfen der Mutigen schwebend hin- und hergewiegt wird. Noch eine halbe Stunde bis zum Aufbruch. Bruder Benno sagt, dass man weiterhin nicht sprechen soll damit nicht gelacht und keine Witze gerissen werden. Otto Gerber erklärt, dass man nicht über den Teppich laufen sollte, so, lange der Feuerdrachen sichtbar sei. Ratsam sei, abzuwarten, bis die Glut bereit ist. Plötzlich läuft Bruder Benno als Erster durch das Feuer; andere folgen ihm mit Respekt nach. Einige wenige Unentschlossene lassen nach einer Weile ihre Gedanken los und schreiten Hand in Hand zu Zweit oder zu Dritt durch die Gluten. Alle schaffen es, ohne den geringsten Schaden zu nehmen. Einige Männer nehmen die Gluten sogar wie Steine in die Hände.

Unerhörtes Glücksgefühl

Ein unerhörtes Glücksgefühl durchströmt die Feuerläufer. Alle umarmen sich und können es nicht glauben, über glühende Kohlen gelaufen zu sein - ein Moment, das mit der Wiedergewinnung des eigenen Vertrauens und der Kräfte im Einklang steht. Der Lauf wird eine reinigende Wirkung im weiteren Leben haben. Vielleicht wird der Wunsch, den jedermann vor dem Lauf laut ausgesprochen hat, in Erfüllung gehen. Zu guter Letzt begeben sich alle in den kleinen Saal, um das Erlebte in guter Stimmung und mit einer kleinen Mahlzeit zu feiern, Die Menschen werden nicht fertig, über das Wunder, das mit ihnen geschehen ist, laut nachzudenken und zu staunen.