MÖSCHBERG Am Ostersamstag versammelten sich 27 Frauen und Männer zu einem Feuerlaufseminar mit dern Ziel, ohne Verletzung über glühende Kohle zu gehen, Hokuspokus, Hypnose oder eine Sekte? - Der «Bund» wollte wissen, was dahintersteckt.
Musst du durchs Wasser gehen, so bin ich bei dir; auch in reissenden Strömen wirst du nicht ertrinken; gehst du durch Feuer du wirst nicht versengt, und die Flamme verbrennt dich nicht!
Jesaja 43, 2
Dunkle Nacht liegt über dem Möschberg ob Grosshöchstetten. Kursleiter Gérard Moccetti, von Beruf leitender Bankangestellter, recht die Kohle zu einem fünf Zentimeter hohen Kissen zusammen und taucht den Rechen in die bereitgestellte Wanne. Das Metall kühlt sich zischend ab. Moccetti stellt das Werkzeug beiseite, zieht seine Schuhe aus, hält vor dem Kohlekissen kurz inne und durchquert schliesslich festen Schrittes und baren Fusses den rotglühenden Teppich. Aus dem Menschenkreis, der um das Feuer steht, lösen sich zaghaft die ganz Mutigen und tun es dem Kursleiter gleich: Sie marschieren bei vollem Bewusstsein durch die Glut. Nun will auch ich es wissen: Mit hochgekrempelten Hosen stehe ich da, spüre die Hitze und stelle mir noch einmal die Frage: «Gehst du für deinen Beruf tatsächlich durchs Feuer?» Ich gehe! Gérard
Moccetti nimmt mich bei der Hand und führt mich sicher durch die heisse Kohle. Der Untergrund fühlt sich an wie heisser Sand, und trotzdem bleiben meine Fusssohlen unversehrt.
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Otto Gerber, Treuhänder und ebenfalls Kursleiter, rollt zu Beginn des Nachmittags die Geschichte des Feuerlaufens auf: «Das Ritual wird nachweislich seit 4000 Jahren durchgeführt. Heute noch ist es Bestandteil vieler Religionen. In der Schweiz wird das Feuerlaufen seit Mitte der achtziger Jahre gepflegt. »Wir hören Beispiele von den mittlerweile ausgestorbenen hawaiianischen Kahunas, die über glühende Lavaströme liefen, und von Singapur wo jeder Feuerläufer drei Peitschenhiebe erhält bevor er die Glut durchquert.
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«Warum diese Feuerlaufe praktisch immer ohne Verbrennungen ablaufen - nur ein Prozent der Seminarteilnehmer zieht sich schwere Verletzungen zu - dafür gibt es keine wissenschaftlichen
Erklärungen, die restlos befriedigen», führt Gerber weiter aus. Als das Feuerlaufen in der Schweiz
aufkam, versuchten Wissenschafter und Medien dem Phänomen auf die Spur zu kommen. Als Erklärung herbeigezogen wurde beispielsweise die relativ geringe Leitfähigkeit der Kohle und der Wasserfilm, der sich durch Schweiss zwischen den Füssen und der Glut bildet, «Wenn du zehnmal über die 600- bis 700 grädige Kohle gehst, nutzen dir aber die schönsten Schweissfüsse nichts mehr.» Die physikalischen Erklärungsversuche stossen laut Gerber auch dann an Grenzen, «wenn man sich bei einem Sturz
die Hände versengt, die Füsse aber keine Verletzungen aufweisen». Weder Gerber noch Moccetti können eindeutig sagen, warum das Feuerlaufen dennoch funktioniert.
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Sollte ich womöglich in die Fänge einer obskuren Gruppierung geraten sein? Otto Gerber versichert: «Wir sind keine Sekte, und wir verfolgen kein religiöses Ziel. Ich gebe aber zu, dass mit solchen Anlässen auch Unfug getrieben werden kann.» In dem von der Schweizerischen Vereinigung für Parapsychologie organisierten Kurs gehe es vielmehr darum, die Kraft der Angst positiv zu nutzen, auf die innere Stimme zu hören, die Selbstheilkräfte zu stimulieren, seinem Verdrängten zu begegnen und sich auf den Moment zu konzentrieren. All dies trage dazu bei, dass der Feuerlauf schliesslich möglich sei,
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Also sitze ich zusammen mit 26 fremden Leuten im Alter zwischen 20 und 65 im Kreis. Die Anwesenden machen trotz dem esoterisch angehauchten Kurs einen normalen Eindruck. Mit verschiedenen Gruppen- und Wahrnehmungsspielen wird das Vertrauen geweckt, dass Dinge möglich sind, die als unmöglich gelten. Zudem lernen wir, den Verstand so einzusetzen, dass er den Feuerlauf nicht behindert, «denn», so Gerber, «nur mit dem Verstand kommst du nicht übers Feuer» Die Meditationen verfehlen ihr Ziel nicht, und alle 27 Anwesenden gehen durch die Glut, einige sogar mehrmals.
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Und was ist geblieben? Die Gewissheit, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die noch nicht zu erklären sind und doch funktionieren; und ein Glücksgefühl, wie es Frischverliebte nach ihrem ersten Kuss verspüren.